Alltagsgschichten aus der B102 #10

Persönliches

Montag, meine letzte Woche begann. Alles war wie immer nur etwas ruhiger ging es beim Frühstück her. Der Platz von Evi war noch leer. Morgen und am Mittwoch würden dann die Nächsten die leeren Plätze der anderen wieder auffüllen. Auf der Station gab es nur 20 Zimmer mit je einer Zweier-Belegung. Zimmer standen NIE länger als ein bis zwei Tage frei. Der Wechsel ging meist sehr ruhig von statten. Man merkte erst zu den Mahlzeiten das wieder jemand „neuer“ dazu gekommen war. Wie es auch in den nächsten Tagen sein wird … eine Routine wie immer. Wenn man lange genug da ist, achtet man auf diese Dinge kaum mehr.

Ich merkte jedenfalls das ich, je näher mein Aufbruch kam, mehr und mehr nervös wurde. Es ging sogar soweit, dass all mein gelerntes und mein ganzes Vorhaben zu wackeln begann. Ängste beherrschten mich plötzlich wieder, meine Träume ließen mich nachts wach werden und mit meiner Selbstliebe war es nicht weit her! Ich war wütend und verärgert, dass ich mich so anstellte! „Hey was soll das? Du bist eine erwachsene Frau, die in einer mittelgradigen Lebenskrise steckte … die Betonung auf steckte!“, sagte ich zu mir selber. Was wenn ich mich irre? Was wenn ich noch gar nicht so weit bin? Was wenn ich all mein Vorhaben nicht schaffe? ICH hatte plötzlich so wahnsinnig viele offene Fragen, die mir zu schaffen machten. Es ging jedoch nicht nur mir so. Es waren Patientinnen dabei, die sich kurz vor ihrer Entlassung selbst Schaden zufügten. Dinge taten die sie während der Zeit hier gut in den Griff bekommen hatten … nur um nicht nach Hause zu müssen und sich dem „ungeschütztem“ Leben wieder stellen zu müssen!

NEIN, so bin ich nicht. Ich hab einfach nur ein wenig Angst die auch sein darf … nach so langer Zeit in der jegliche Bedenken immer vorher besprochen werden konnten! Meine Panik stand mir wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben als meine Bezugsschwester auf mich zukam und außertourlich eine Stunde mit mir einschob. Wir trafen uns im Besprechungsraum kurz vor ihrem Dienstschluss. Ihr liebevolles Lächeln und der feste Händedruck bei unserer Begrüssung wurde für mich in der Zeit wie ein Anker der mich fest gehalten hat.

Was macht ihnen solche Angst?

Das war ihre erste Frage und sie rückte ganz nahe an mich heran. Solche Momente fand ich immer ganz besonders seltsam, da uns beide maximal fünf Jahre Altersunterschied trennten. War es anfangs sehr schwierig für mich solche Situationen zuzulassen, sind diese in der Zwischenzeit eine wichtige Aktion geworden! „Ich beobachte sie schon die letzten Tage, sie sind wieder still geworden und sitzen viel auf dem rotem Sofa … wovor haben sie Angst?“ Ich erzählte ihr meine Bedenken. Das es vielleicht noch zu früh sei nach Hause zu gehen und meine Angst zu versagen und mich vor lauter Eifer sofort wieder zu verausgaben … was dann? „All das wird nicht passieren wenn sie das Gelernte umsetzen, wenn sie gut sorge für sich und wenn sie trotz manchem „Scheitern“, das sicherlich auch kommen wird, nicht aufhören sich selbst zu mögen!“ … sagte sie mit diesmal eindringlicher bestimmten Stimme, die mich kurz mal aufschauen lies.

„Sie haben sich hier als wichtiger Bezugspunkt für einige Frauen entpuppt, wie sie sicherlich mitbekommen haben. Sie werden gemocht und wertgeschätzt von allen hier, sie sind selbst während ihres Aufenthaltes hier zu einem Alpha-Tier geworden ohne das sie es wollten … sie haben Situationen gemeistert die bei Gott nicht einfach waren UND – sie haben durchgehalten und sind an der Situation weiter gewachsen. Also um Himmelswillen, was sollten sie nicht schaffen? Nochmal … das einzig Wichtige ist, dass sie bei all ihren Vorhaben auf sich selber nicht vergessen, Grenzen auf zu zeigen und wie sie es ja nachts immer noch tun …. sich selbst dabei in den Arm zu nehmen …“

Ich bekam eine seltsame Aufgabe

Ich glaube sie hatte noch einiges mehr auf Lager, aber bei mir war nach so viel positiven Gerede Schluss. ICH war es eben nicht gewohnt … immer noch nicht. Als wir uns verabschiedeten nahm sie aus der Tasche ein rohes Ei. Sie hatte es bemalt. Augen und Haare mit schwarzem Edding „Das sind SIE Sandra … ich möchte dass sie es mir vor ihrer Abreise hier auf der Station unversehrt zurückgeben! Geben sie gut auf sich acht 🙂 … und gehen sie so mit dem rohen Ei um als wären es sie selber. Schönen Abend bis übermorgen!“

Das war eigentlich das Einzige was ich meinen Mädels NICHT erzählt hatte! Ich kam mir so doof vor. Ein kleiner roher Eierkopf der aussah wie ich und auf den ich achten sollte. So etwas kann man nicht erzählen! Ich überlegte und kam schnell zu dem Entschluss ein sicheres Nest suchen zu müssen. Ich lehrte meinen kleinen Kosmetikbeutel und bettete mein Ei, das mir jedes Mal wenn ich es ansah, einen Grinser entlockte, in ein kleines Gästehandtuch eingeschlagen in meinen Beutel. Wie ein Baby lag es da und schaute mich mit den aufgemalten Augen an.

Ich musste wirklich achtsam sein damit es nicht kaputt ging. Nach und nach verstand ich auch was sie mir mit dieser Aktion sagen wollte … diese Frau war einfach grossartig! Mein „ICH“ habe ich ihr unversehrt zurückgeben können mit den Worten „Ich hab gut für mich gesorgt 🙂 “ mehr gab es dazu nicht zu sagen. „Ich habe nichts anderes von ihnen erwartet …“ sagte sie und wünschte mir für meine Zukunft das aller Beste.

Abflug war angesagt

Die nächsten Tage vergingen noch schneller als die Letzten. Es war mein letztes Frühstück und ich nahm mir ganz fest vor stark zu sein. Taff eben. Ich war so voller Freude als meine Mädels mich mit ganz persönlichen Dingen beschenkten. Alles hatte eine Bedeutung oder war voll mit Erinnerung! Es ging alles gut bis zu dem Moment als ich meinen riesigen Koffer aus meinem Zimmer zog. Ein Herz zereissender Abschied folgte …

In Kontakt sind wir bis heute. Auch wenn jeder sein eigenes Leben leben muss, stehen wir in guter Verbindung. Evi unser Kücken, es geht ihr blendend! Essen ist wieder ihr Freund geworden, sie lebt und liebt das Leben in vollen Zügen! Melanie hat ihren geplanten Wohnungswechsel gut überstanden und auch sie hat wieder Boden unter den Füssen! Königin Gabriela ist zu einer strukturierten Person geworden, die Familie, Job und ihre Weiterbildung mehr oder weniger im Griff hat. Der dazugehörige „König“ ist noch nicht angekommen. 🙂

Ja und meine Wenigkeit … ich habe nach anfänglichen Startschwierigkeiten mein Leben NEU „gebaut“. Neues Leben, neue Liebe, neues Denken. ICH „achte“ auf mich wie ein rohes Ei … man soll mir nicht nachsagen können ich sei nicht lernfähig! Ich kann nur Jedem raten der sich in einer Lebenskrise befindet, hinzusehen, sich Hilfe zu holen und auch anzunehmen. Einfach war und ist es immer noch nicht – aber davon war auch NIE die Rede!

Ich danke Dir für deine treuen Besuche zu diesen Geschichten, vielleicht habe ich Dinge beim Namen genannt die DIR bekannt vorkamen und dir einen kleinen Einblick geben konnten in einen ganz normalen Stations-Alltag.

PS: Die Lücke auf FrauenPunk durch das Ende dieser Artikelserie möchte ich natürlich füllen und so werde ich dich anstelle meiner Alltagsgschichten bald zu Geschichten für Erwachsene einladen! 😀 14-tägig, wie gehabt, ich freu mich weiter auf dich und wünsche dir noch einen schönen Sonntag.

Kennst du schon die weiteren Teile der Alltagsgeschichten?
Alltagsgeschichten B102 #1
Alltagsgeschichten B102 #2
Alltagsgeschichten B102 #3
Alltagsgeschichten B102 #4
Alltagsgeschichten B102 #5
Alltagsgeschichten B102 #6
Alltagsgeschichten B102 #7
Alltagsgeschichten B102 #8
Alltagsgeschichten B102 #9
Alltagsgeschichten B102 #10

Xo Sandra

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